Auf indirektem Weg gelangten die Bilder für Shiba Kōkans Kopperu tenmon zukai (Illustrierte Kopernikanische Astronomie) (1808) über folgende Stationen nach Japan: über die englischsprachige Abhandlung eines königlichen Gerätebauers über die Konstruktion von Globen; eine revidierte Übersetzung dieser Abhandlung in Amsterdam; von einem Nagasaki-Dolmetscher angefertigte Exzerpte dieses holländischen Textes; Kopien von Bildern aus diesem Manuskript in Shiba Kōkans Notizbuch; Holzschnitzereien nach Kōkans Notizen, die schließlich genutzt wurden, um die Illustrationen der Kopernikanischen Astronomie (Abb. 1) zu drucken. So sah damals das Schicksal von Bildern aus, die über weite Entfernungen übermittelt wurden: vom Stichel des Graveurs über den Pinsel des Kalligrafen bis zum Messer des Xylografen.
Spult man ins Jahr 1910 vor, begegnet einem eine auf andere Weise komplizierte Transaktion. Als der japanische Psychologe Motora Yūjirō Wilhelm Wundt schriftlich um die Erlaubnis für die Übersetzung seiner Grundzüge der physiologischen Pyschologie (1873–74) bat, erhielt er die Antwort, dass er die Rechte dafür nur erhalten werde, wenn elektrotypische Reproduktionen der Abbildungen im Buch direkt vom Verleger der Grundzüge gekauft würden. Die Japaner lehnten das wegen der Kosten ab, während die Deutschen argumentierten, damit solle die Exaktheit der Abbildungen sichergestellt werden. Die Verhandlungen scheiterten. Eine japanische Übersetzung der Grundzüge ist nie erschienen.
Was hatte sich in der Zwischenzeit geändert? Elektrotypie und Stereotypie erlaubten es Verlagen nun, einen Vorrat reproduzierbarer Bilder anzulegen – ein Vorläufer des Bestands vorgefertigter Bilder, den heutige Bildagenturen anbieten. Bereits 1826 hatte der Verlag Hachette einen Service des illustrations ins Leben gerufen, indem er seinen Bildbestand nach Themen katalogisierte und Lizenzen für stereotypierte Abzüge an andere Druckhäuser vergab. Kurze Zeit später baute Harper’s ein Kellergewölbe zur Lagerung von Elektrotypen (Galvanos) mit zweieinhalb Meter hohen Regalen, die sich über sechzig Meter unter den Straßen von New York City erstreckten. Bis 1855 lagerten dort über 10.000 Elektrotypen mit einem Gewicht von schätzungsweise 70 Tonnen (Abb. 2).
Zwar wurden Bilder bereits vorher mithilfe verschiedener Reproduktionsverfahren verbreitet, doch das Aufkommen von Elektrotypen-Bildbanken standardisierte diese Verbreitung als legale kommerzielle Praxis. Zusammen mit internationalen Urheberrechtsbestimmungen gaben Druckplatten den Urhebern und Verlegern eine bessere Kontrolle über die Verbreitung ihrer Bilder im Ausland. Um Klagen wegen falsch aus den Originalen kopierter „scheußlicher Abbildungen“ in Übersetzungen für ferne Märkte zu verhindern, legten Verträge fest, dass die Verleger von Übersetzungen auch Elektrotypen der Originalabbildungen kaufen mussten. Gleichzeitig veranlasste die wachsende Verfügbarkeit von Druckplatten für alle Gelegenheiten die Verleger, Abbildungen eher aus bereits existierenden Werken zu entnehmen, als in neue zu investieren. Longmans Town and Window Gardening (1879) zum Beispiel wurde mithilfe von Elektrotypen illustriert, die von sechs anderen Verlagen eingekauft wurden. Auf diese Weise hatte ein Kunstführer über Balkonkästen ein gemeinsames visuelles Vokabular unter anderem mit botanischen Lehrbüchern und Darwins Fertilisation of Orchids (Abb. 3).
Während sich der Handel mit Elektrotypen ausbreitete, wurden andere Mittel zur Bildübertragung erfunden, die effizienter waren als die schweren Druckplatten. Seit dem Aufkommen des Telegrafen hatte man gehofft, dass das elektrische Tickern des Morsecodes eines Tages durch grafische Darstellung ersetzt werden könnte. Und tatsächlich nahm der Traum der – in den folgenden Jahrzehnten nur sporadisch und mangelhaft realisierten – Bildtelegrafie Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts eine Schlüsselposition in den Diskussionen über die Funktion von Bildern in der internationalen Kommunikation ein. Arthur Korn, der Begründer der modernen Faxtechnologie, erhoffte sich von der Bildtelegrafie sofortige und genauere Informationen über entfernte Orte. In Ostasien wurde sie als Überwindung des einseitigen Eurozentrismus in der Kommunikationstechnik gefeiert, weil sie die Sprache vom Alphabet zurück zum Ideogramm führte.
Die neue Genauigkeit und Geschwindigkeit der grafischen Übertragung über weite Entfernungen hinweg versprach eine globale Einheit des Sehens, die sprachliche Unterschiede überwindet. Doch blieben grundlegende Dinge dabei unklar. Farbe zum Beispiel erwies sich als wiederkehrendes Problem, das die Verwendung von Wörtern notwendig machte, wie in dieser Telediagrafsequenz zu sehen ist (Abb. 4).
Und was wurde aus Korns Hoffnung, dass Bildtelegrafie verlässlichere Nachrichten aus fernen Ländern liefern würde? Betrachten wir etwa diese Fotografie von 1904 aus dem Russisch-Japanischen Krieg, die ihren Weg nach New York und Berlin fand. Collier’s Weekly zufolge stellt sie einen japanischen Sanitäter dar, der einen seiner verwundeten Landsleute trägt. Dagegen schrieb die Berliner Illustrirte Zeitung zur selben Fotografie, sie zeige einen mildtätigen japanischen Soldaten, der einen verwundeten feindlichen Russen trage (Abb. 5).
Im Verlauf meiner Untersuchung möchte ich daher nicht nur die Techniken und Ökonomien der globalen Bildversorgung erforschen, sondern auch die Praktiken von Wahrheit und Bedeutung, die damit entstanden. Welche Strategien wurden entwickelt, um in einer Welt der zunehmend mobilen und allgegenwärtigen Bilder deren visuelle Bedeutung zu stabilisieren und mit ihnen eindeutige Aussagen zu machen? Diese Fragen rücken meine Untersuchung in einen engen Zusammenhang mit der gegenwärtigen Krise, in der wir – umgeben von visueller Kommunikation vom Emoji bis Instagram – zunehmend unsicher sind, was ein Bild über die Wirklichkeit aussagt.