Der Film Das Boot verfolgt den Weg des fiktiven deutschen U-Boots U-96, das sein Kapitän versuchte vom Atlantik ins Mittelmeer zu steuern, um die Kriegsanstrengungen von 1942 zu unterstützen. Die größte Herausforderung dabei war, die enge Straße von Gibraltar zu durchfahren, wo die ängstliche Besatzung von den Pings des britischen aktiven Sonars verfolgt wurde. 1981, in dem Jahr, in dem der Film herauskam, war die NATO mit ozeanografischen Forschungen an der Meerenge beschäftigt, womit sie hoffte, das Aufspüren von sowjetischen Atom-U-Booten mittels Sonar zu ermöglichen (siehe zur Übersicht Abbildung 1). Das Gibraltar-Experiment der NATO wurde schnell ein Meilenstein der Forschung zu globalen Meeresströmungen und zum Klimawandel. Wie diese Skizze zeigt, vereinigt die jüngere Geschichte der Unterwasser-Überwachung in Gibraltar, einem umkämpften Gebiet im Herzen der heutigen Europäischen Union, die Geopolitik des globalen Kalten Krieges mit der Tiefseeforschung und schafft damit die Voraussetzungen für neue globale Perspektiven auf das Mittelmeer.
Mit Atomsprengköpfen bewaffnete Atom-U-Boote machten die Unterwasserwelt zu einem Schlachtfeld des Kalten Krieges (siehe Abbildung 2). Da an jedem Punkt des Weltmeeres jederzeit überraschend ein unsichtbarer Feind erscheinen konnte, trachteten die Kriegsgegner nach weltweiter Überwachung. Zu diesem Zweck fassten sie vor allem Engstellen ins Auge. Zusammen mit der sogenannten GIUK Öffnung zwischen Grönland, Island und dem Vereinigten Königreich, war die Straße von Gibraltar für die US-Kriegsmarine der strategisch wichtigste Engpass, um sowjetische U-Boote auf dem Weg in den Atlantik aufzuspüren. Während die geringe Breite der Meerenge die Möglichkeit bot, Ortungsvorrichtungen anzubringen, bereiteten ihre Tiefe und die komplexen hydrologischen Bedingungen ernsthafte Schwierigkeiten. Diesen entsprachen die politischen Spannungen, die rund um den Felsen von Gibraltar – einen an das frankistische Spanien grenzenden britischen Vorposten, einen Alliierten der Vereinigten Staaten, der nicht zur NATO gehörte – und die nordafrikanische Dekolonisierung existierten.
Mein aktuelles Buchprojekt The Strait in the Cold War (Die Meerenge im Kalten Krieg) ist eine Geschichte der Ozeanografie und der Geopolitik während des Kalten Krieges. Es untersucht die geopolitischen und wissenschaftlichen Mittel, die im Rahmen des Versuchs der Anti-U-Boot-Kriegsführung bei Gibraltar aufgeboten wurden. Es bietet keine USA-zentrierte Perspektive, sondern analysiert eine Reihe von transnationalen Forschungsprogrammen und betrachtet sehr genau die Einflüsse aus der Zeit vor dem Kalten Krieg, insbesondere Souveränitätsfragen und die Dekolonisierung. Unterwasser-Überwachung war eine Sache der Akustik. Sie erforderte sowohl die Standardisierung der praktischen Erfahrung durch geschulte Ohren als auch genaues Wissen über Schallübertragung, die von den atlantisch-mediterranen Wasserströmungen abhing. Die Beschäftigung von zivilen und militärischen Ozeanografen mit den Strömungen ebnete den Weg für die wissenschaftliche Globalisierung des Mittelmeers.
The Strait in the Cold War widmet sich der Straße von Gibraltar als Tor zwischen dem Mittelmeer und dem Atlantik. Die in diesem Projekt vertretene zentrale These ist, dass die Anti-U-Boot-Überwachung Geopolitik und Ozeanografie auf eine Weise vereinigt hat, die dazu geführt hat, dass das Mittelmeer des Kalten Krieges für die Begründung moderner Globalität relevant wurde. Insbesondere begannen Ozeanografen das Mittelmeer sowohl als Faktor innerhalb der Dynamik der Weltmeere (wofür sie verfolgten, wie die Wassermassen des Mittelmeeres den Atlantik Richtung Nordpol durchquerten) als auch als Modellbecken für das Verständnis der Konvektion im globalen Maßstab zu diskutieren. Detailliertes Wissen über das Verhalten von tiefen Strömungen war für die Anti-U-Boot-Überwachung erforderlich (siehe Abbildung 3). Vor allem verlangte die akustische Beobachtung neue und wechselnde Arten der Unter-Wasser-Wahrnehmung, vom Hören unter der Wasseroberfläche bis zum Sehen von unverwechselbaren Klangbildern in grafischen Mustern. Diese neue Phänomenologie gab bis dahin unerforschten Objekten wie tiefen Strömungen, streuenden Schichten, der thermischen Sprungschicht, Plankton und inneren Wellen Gestalt.
Die Straße von Gibraltar war im gesamten 20. Jahrhundert eine der sowohl von Handels- als auch Kriegsschiffen am stärksten befahrenen Meerengen. Im Zeitalter der nuklearen Abschreckung zwischen den beiden Supermächten und der nordafrikanischen Dekolonisierung wurde die Möglichkeit, dieses Tor zwischen zwei Meeren zu schließen oder zu öffnen für die Regierungen und militärischen Führungen zahlreicher Länder zu einer vordringlichen Angelegenheit. Ab den 1940er Jahren und bis weit in die 1990er bemühten sich Wissenschaftler und Marinebeamte aus mehr als zehn Staaten, zusammenlaufende Strömungen kartografisch zu erfassen. Dies geschah aufgrund geheimer bilateraler Abkommen und durch gemeinsame transnationale Anstrengungen wie das Internationale Geophysikalische Jahr (1957–1958), den NATO-Unterausschuss für Ozeanografie (1959–1975) und das Gibraltar-Experiment (1985–1995). Damit wird die Straße von Gibraltar zu einer Engführung der verwickelten Geschichte der weltweiten Unterwasser-Überwachung mit der Konstruktion des globalen Meeres im wissenschaftlichen und ökologischen Sinn.
Zu den Protagonisten dieser Geschichte gehören einige der üblichen Verdächtigen im Hinblick auf die Ozeanografie im Kalten Krieg, insbesondere Wissenschaftler und Institutionen aus den USA, der UdSSR und Großbritannien. Doch der Kampf um Wissen und Macht erstreckte sich auch auf wissenschaftliche und diplomatische Repräsentanten Spaniens, Frankreichs, Italiens, Marokkos und Algeriens. Zu ihren jeweiligen Strategien gehörten Kooperation, Hegemonie und Konkurrenzkampf durch Expeditionen, Publikationsmuster und Förderentscheidungen. Die Besonderheiten der hydrologischen und politischen Bedingungen der Straße von Gibraltar sowie ihre Gemeinsamkeiten mit anderen Engstellen ließen sie bei der Entstehung einer neuen globalisierten Welt zu einem Brennpunkt werden.
Die Sichtbarkeit des Mittelmeeres für heutige Leser und Leserinnen hat im Verlauf der letzten Jahre dramatisch zugenommen. Wenn man Zeitungen oder Publikums- und Fachzeitschriften durchsieht, stellt man fest, dass das Mittelmeer den Status einer Analyseeinheit erlangt hat (siehe Abbildung 4). Der arabische Frühling, die Wirtschaftskrise in Südeuropa und die Tragödie der Flüchtlinge, die zu Tausenden die griechischen Grenzen überqueren, haben die Vorstellungen einer globalen Geopolitik infrage gestellt. Debatten über die Bedeutung und Zukunft von Europa kreisen um den Mittelmeerraum. Grenzkontrollen und Überwachung beschäftigen Behördengremien, Migrantenfamilien und die öffentliche Meinung. Und dennoch endet die existierende Historiografie im Gefolge Braudels nach wie vor fast immer um 1500. Zu diesem Zeitpunkt, so das Argument, stellte die atlantische Welt die Bedeutung des Mittelmeeres für die Weltgeschichte in den Schatten. The Strait in the Cold War möchte unsere Vorstellungen vom modernen Mittelmeerraum verändern und die historische Bedeutung seiner gegenwärtigen Sichtbarkeit verstehen. Dies ist ein Beitrag zur wachsenden Literatur über neue ozeanische Räume, die durch Wissenschaft, Krieg und Gesetz konstruiert werden. Diese Revolution der maritimen Geschichte kann weiterführende Belange über die Gegenwart und die Zukunft von Ozeanen ansprechen, inklusive solcher, welche beim Wissenschaftsjahr 2016/17 – Meere und Ozeane des Bundesministeriums für Bildung und Forschung thematisiert werden.
Die Beschäftigung mit Unterwasser-Überwachung, Tiefenforschung und der Bedeutung des Nadelöhrs an der Straße von Gibraltar für die globale Geopolitik eröffnet Wege, um die politische Geografie der Welt neu zu denken. Sie bietet außerdem einen Einstieg in die lokale Erzeugung der Vorstellung von einer globalen Umwelt und leistet damit ihren Beitrag zu der Arbeitsgruppe Experiencing the Global Environment der Abteilung II. Wie andere Initiativen der Abteilung II möchte diese Arbeitsgruppe ein Konzept historisieren, das als zentral für die heutige wissenschaftliche Weltsicht betrachtet wird. Die Idee der globalen Umwelt liefert Rahmen und Motivationen für Erdsystemwissenschaften und mobilisiert gleichzeitig die öffentliche Meinung, häufig in polarisierender Weise. Indem sie ihre Epistemologie erforscht, beteiligt sich die Wissenschaftsgeschichte an einer hochaktuellen Diskussion.