Bergbau war eine der wichtigsten Triebkräfte der dynamischen ökonomischen und technischen Entwicklung im frühneuzeitlichen Europa. Silber-, Kupfer- und Bleibergbau erlebten im Erzgebirge, im Harz und in den Tiroler Alpen ab der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts einen regelrechten Boom. Die rasche Verbreitung der Nachricht von der Entdeckung reicher Metallvorkommen führte zu einer schlagartigen Verwandlung bis dahin unkultivierter Gebiete in besiedelte und florierende Bergbauregionen (Abbildung 1). Zur Beschreibung dieses Phänomens prägten die Zeitgenossen den Begriff „Berggeschrey“. Er verweist erstens auf einen dynamischen ökonomischen Prozess mit kurzen Zyklen des Auf- und Abschwungs und der Zirkulation von Menschen, Wissen, Materialien und Geld in immer schnellerem Tempo. Zweitens markiert die Intensität und Impulsivität des Geschreis die affektive Dimension dieses von materiellen Wünschen, Hoffnungen und Ängsten angetriebenen Silberrauschs. Mein Forschungsprojekt „Subterranean Economies – Resource Flows and Metal Culture in Early Modern Mining“ (Unterirdische Ökonomien – Rohstoffströme und Metallkultur im frühneuzeitlichen Bergbau) verbindet die Geschichte politischer Ökonomie – allgemein verstanden als eine Reihe von Praktiken der Herstellung und des Tauschs von Werten in einer bestimmten Kultur – mit Fragen nach Wissen, Agency und Sinnstiftungen, die in Kultur-, Kunst- und Wissenschaftsgeschichte aufgeworfen werden. Ich untersuche zeitgenössische Prozesse und Praktiken der Wertzuschreibung von Metallen, die nicht auf rein ökonomische Aspekte beschränkt sind, sondern die komplexe Semantik des Materials und ihre emotional-affektiven Implikationen berücksichtigen. Indem meine Forschungsarbeit die soziokulturellen Energien hinter der bereits gut erforschten ökonomischen und technischen Entwicklung der Bergbauindustrie in der frühen Neuzeit näher betrachtet und sich der Materialität und ihrer Verwandlung durch wechselseitige Prozesse der Aneignung und Zuschreibung widmet, stellt sie teleologische Narrative der Verfestigung von Verwaltungsstrukturen, Finanzmechanismen und technischen Innovationen infrage. Ausgehend von dem Verlangen der Menschen nach Edel- und Halbedelmetallen zielen meine Leitfragen auf materielle und emotionale Wertzuschreibungen von Metallen im Zusammenhang mit der Produktion und Zirkulation von Münzen als Tausch- und Wertmarken.
Die Beschleunigung der Wirtschaftsströme in den Bergbauregionen und darüber hinaus führte sowohl in zeitgenössischen Texten als auch in der Praxis zu weitschweifigen Diskussionen über den intrinsischen Wert und den Tauschwert von Münzen. Da ein Großteil der Silberproduktion der einzelnen Bergbauregionen in lokalen Münzstätten vermünzt wurde, war der Bergbau aufs engste mit der Währungspolitik und Währungspraktiken verbunden. Die verstärkte Silberförderung führte dazu, dass die beherrschende Goldwährung (Rheinischer Gulden) nach und nach durch ein Silberäquivalent ersetzt wurde – den Guldiner, Guldengroschen oder Taler (Abbildung 2). Regelmäßig wurden neue Edikte erlassen, neue Münzen eingeführt, alte Münzen geprüft oder neu bewertet und „böse“ Münzen mit sehr geringem Edelmetallanteil verboten. Material-, Gebrauchs- und Tauschwert überschnitten sich in diesen Diskursen und waren eng verbunden mit Begierden, Wunschdenken und moralischen Diskursen über ehrliche und betrügerische Methoden, Gewinn zu erzielen.
Die neuen Möglichkeiten, ein Vermögen zu verdienen – und wieder zu verlieren –, regten die zeitgenössische Reflexion über materiellen Wohlstand und finanziellen Profit an. Zeitgenossen beschrieben die Berge als „Nährboden“ für Wohlstand und Quelle aller Reichtümer. Mithilfe zunehmend teurerer Maschinen, kostspieliger Lüftungs- und Drainagetechniken wurden Schächte in große Tiefen gebohrt, und mit neuen metallurgischen Methoden wie der Seigerung konnten Erze mit geringem Metallgehalt abgebaut und verarbeitet werden. Diese Entwicklungen verwandelten die Bergbauindustrie in ein hochriskantes und kapitalintensives Geschäft, in dem die Menschen leicht Geld verlieren und sich ruinieren konnten. Daher veränderten diese technologischen und organisatorischen Innovationen nicht nur die ökonomische Landschaft, sondern tangierten auch die Wahrnehmung der Erze und den ihnen zugeschriebenen Wert. Wie die Bergleute und Gewerken glaubten, konnte man sich die gewünschten Metalle aneignen und Profit aus dem Bergbau schlagen, indem man auf Gott und das eigene Glück vertraute und wenn man gute Hoffnung, echtes Können und gute Sachkenntnis besaß.
Die Assoziation des Bergbaus mit Wissen, Reichtum, Risiko und Unsicherheit verbindet den Wunsch nach materiellem Gewinn mit der Angst vor finanziellem Verlust und Ruin und situiert diese in einem christlichen Tugenddiskurs. Ein Gemälde des deutschen Künstlers Matthäus Gundelach (1566–1653) bietet eine elaborierte Darstellung dieser Verbindung (Abbildung 3). Die Allegorie zeigt Fortuna auf einem Haspelrad balancierend. Zu Fortunas Rechten zeigt ein positiv dargestellter Bergmann in traditioneller Kleidung eine Erzprobe, zu ihrer linken reißt eine Gruppe von Schatzjägern auf der Suche nach einem Münzschatz gewaltsam die Erde auf. Gundelach schuf dieses Gemälde in einer Zeit der Hyperinflation und stellte darin künstlichen Reichtum (Münzen) natürlichem Reichtum gegenüber und spielte den gelehrten und ehrlichen Bergmann gegen ignorante, gierige und rücksichtslose Schatzjäger aus; doch er gruppierte beide Seiten auf der Achse des Glücks. Die sichtbare Gegenüberstellung von Erzen und Münzen schließt an allgemeinere Fragestellungen an, welche das Verhältnis zwischen natürlichen Werten oder natürlichem Reichtum und der Produktion von Wert mit „künstlichen“ Mitteln betreffen und die Frage, ob Kunst (oder menschliche Arbeit im Allgemeinen) die Macht haben sollte, Wert zu vervielfachen.
Nicht nur in Kunstwerken, sondern auch in Texten und Artefakten erscheinen die Bergwerke als polyvalente Räume: Die von Caspar Ulrich in Joachimstal künstlerisch gefertigte Erzprobe (Handstein) zeigt das Bergwerk als göttlichen Schatz und als Quelle von Reichtum (Abbildung 4). Außerdem werden Bergwerke als Laboratorien oder Werkstätten für technische und metallurgische Kenntnisse und Innovationen dargestellt, als wichtige Stätten der höfischen Repräsentation und Sinnbilder für die ökonomische Macht des Herrschers (Abbildung 2) oder als Konvergenzpunkte materieller Wünsche, Begierden und Risiken. Um aber diese komplexe Semantik des Materials mit seinen sozialen, ökonomischen, epistemischen, symbolischen und emotionalen Dimensionen zu erfassen, ist es wichtig Religion als ein grundlegendes strukturierendes Prinzip frühneuzeitlicher Gesellschaften anzuerkennen. Für zeitgenössische Bergleute und andere aktiv in die Bergbauindustrie eingebundene Menschen war die Hoffnung auf reiche Erträge kein rein materielles Bestreben. Hoffnung war – zusammen mit Glauben und Liebe oder Nächstenliebe – auch eine christliche Tugend, die das rationale Denken mit positiven Erwartungen in Bezug auf künftige Ereignisse überlagerte, die auf Vorhersagen und Vertrauen in den Willen Gottes beruhten. Hoffnung bedeutete die Sehnsucht nach einem Happy End, das neben Wissen und Können auch von göttlicher Vorsehung abhing.
Die Materialien in meinem Fokus – Gold, Silber, Kupfer, Blei und Eisen – stellten somit keine stabilen oder festen Größen dar, sondern waren vielmehr gleichzeitig wirtschaftliche Ressourcen, wissenschaftliche Objekte oder Substanzen, Werkstoffe sowie machtvolle Allegorien und Symbole. Dieses Forschungsprojekt eröffnet eine neue Perspektive auf die frühneuzeitliche Bergbauindustrie als soziomaterielles Phänomen sui generis – das durch die Verknüpfung der ökonomischen Praktiken und wissenschaftlichen Techniken der Akteure mit bedeutungsstiftenden Affekten und Wünschen entsteht.