Internationale Konferenz: Alexander von Humboldt: Circulation of State-Knowledge in Europe and Latin America
- Nov 25, 2019
- Institutsnachrichten
- Abt. I
- Helge Wendt
Alexander von Humboldts Reise durch die amerikanischen Staaten wird oft als Beginn einer neuen Ära in den transatlantischen Wissensbeziehungen (miss)verstanden und der preußische Naturforscher in diesem Sinne als „Zweiter Entdecker Lateinamerikas“ gefeiert. Gegen diese eindimensionale, eurozentrische Sichtweise bettet die internationale Konferenz die Figur Humboldts in die längerfristigen Entwicklungen ein, welche den wissenschaftlichen Austausch zwischen Europa und Lateinamerika seit dem 18. Jahrhundert kennzeichneten. Diskutiert werden zum einen die Zirkulation der Experten und Objekte in Zeiten der Entstehung des modernen Staates und der Reformen in den verschiedenen Imperien. Zum anderen die Rolle der staatlichen Expertise und der neu geschaffenen wissenschaftlichen Institutionen für die ökonomische Entwicklung und den gesell-schaftlichen Wandel. Außerdem werden der Einfluss der Verschiebungen des internationalen Mächtegleichgewichts in der Epoche der napoleonischen Kriege und der lateinamerikanischen Unabhängigkeitsbewegungen analysiert. Die Konferenz veranschaulicht auf diese Weise die vielfältigen Formen der Wissenszirkulation ebenso wie auch die sozialen, politischen und ökonomischen Kontexte, in denen der Austausch des Wissens zwischen Europa und Lateinamerika stattfand.
Die Konferenz wird von drei Berliner Forschungseinrichtungen organisiert, die jede ihre eigene Verbindung zum Thema Alexander von Humboldt und transatlantischer Wissenszirkulation haben.
Das Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte arbeitet seit Jahren zum Thema der Globalisierung von Wissen. Hierbei sticht die Wissensentwicklung in den Amerikas hervor, als Teil einer Beziehungsgeschichte mit Europa. Die historische Entwicklung von Wissen und Wissenschaften wird in verschiedenen Schlaglichtern, in den politischen und religiösen Verwicklungen seit dem 16. Jahrhundert bis in die Gegenwart erforscht.
Für das Centre Marc Bloch, deutsch-französisches Zentrum für Sozialwissenschaften, steht die Betrachtung Europas in seinen globalen Zusammenhängen seit langem im Mittelpunkt seiner interdisziplinären Forschungsarbeit. In Fortführung der Arbeiten Max Webers und Michel Foucaults, aber auch in Abgrenzung von älteren Ansätzen, gilt ein besonderes Augenmerk den Anfängen der modernen Staatlichkeit und dem Wissen des Staates im 18. und 19. Jahrhundert.
Das Ibero-Amerikanische Institut versteht sich als Ort des wissenschaftlichen und kulturellen Austausches mit und über Lateinamerika, die Karibik, Spanien und Portugal. In seiner Forschungslinie „Wissensproduktion und Kulturtransfer. Lateinamerika im transregionalen Kontext“ untersucht es die Wissensproduktion im Raum des heutigen Lateinamerika unter Einbeziehung wechselseitiger Vermittlungen sowie Rezeptions-, Austausch- und Verarbeitungsprozessen.
Die Kombination dieser drei Stärken führt zu einer umfassenden Neueinordnung von Alexander von Humboldts Rolle für die Entwicklung von Staat und Wissenschaft in Europa und in den amerikanischen Ländern, wie im Folgenden näher erläutert wird.
In der aktuellen Diskussion der deutschen Öffentlichkeit wird Alexander von Humboldt gerne als Vertreter einer „kolonialen Sicht“ auf die Welt beschrieben, auch wenn seine Reise eher in einem „imperialen“ als einem klassischen „kolonialen“ Zusammenhang zu betrachten ist. Die Konferenz verortet in diesem Sinne die Wissenszirkulation im atlantischen Raum und in Lateinamerika konkreter im Wandel der politischen Ordnungen von den sogenannten „Bourbonischen Reformen“ des spanischen Reiches bis hin zu den unabhängigen Nationalstaaten des 19. Jahrhunderts. Vielen der jungen lateinamerikanischen Nationen diente Humboldt als Identifikationsfigur jenseits der eigenen spanischen Vergangenheit. In einer postkolonialen Deutung muss es aber auch darum gehen, wissenschaftliche und intellektuelle Kontexte und Netzwerke mit ihren politischen, wirtschaftlichen und administrativen Dimensionen in die geschichtliche Analyse ein-zubeziehen. Wissensbestände, Experten und Objekte zirkulierten in den Territorien des spanischen Imperiums, zwischen den verschiedenen Herrschaftsräumen in den Amerikas und im weiteren auch Europa umfassenden transatlantischen Raum. In der Konferenz wird Alexander von Humboldt als Vertreter einer breiteren Schicht staatlicher Reformer verstanden und weniger als geniales Einzelschicksal. Seit der Aufklärung des 18. Jahrhunderts versuchten diese Reformer in den europäischen Staaten ebenso wie in den spanischen und portugiesischen Imperien wissenschaftliches Wissen zur Modernisierung der Gesellschaft und des Staates einzusetzen. Inbesondere die lateinamerikanische Perspektive wird wesentlicher Bestandteil der kritischen Auseinandersetzung mit dem deutschen Forscher sein. Der Historiker Prof. Dr. Jorge Cañizares Esguerra von der University of Texas wird in seiner Keynote dem verbreiteten „wissenschaftlichen Kolonialismus“ und den häufig hagiografisch anmutenden Humboldt-Biographien nachgehen.
Die von Barbara Göbel (Ibero-Amerikanisches Institut), Jakob Vogel (Centre Marc Bloch) und Helge Wendt (Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte) konzipierte Veranstaltung versammelt namhafte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus lateinamerikanischen Ländern, den Vereinigten Staaten und Europa:
Jorge Cañizares Esguerra (USA), Nuria Valverde Pérez (Mexiko), Gabe Paquette (USA), José Enrique Covarrubias (Mexiko), Carlos Sanhueza Cerda (Chile), H. Glenn Penny (USA), Lina M. del Castillo (USA), Darina Martykánová (Spanien), Lothar Schilling (Deutschland), Jakob Vogel (Deutschland), Sandra Carreras (Deutschland), Pierre Nobi (Frankreich), Alexander van Wickeren (Deutschland), Fabrício Prado (USA), Clément Thibaud (Frankreich), Ulrich Päßler (Deutschland), Helge Wendt (Deutschland).